Jeder schnappt im Laufe seines Lebens verschiedene Geschichten auf, ohne deren Entstehung genau zu kennen, so auch ich – nämlich die Geschichte von den vier Mönchen in Biafra. Biafra war in den 1970 Jahren ein Bürgerkriegsgebiet und dort herrschte eine riesige Hungersnot (die Fernsehbilder von verhungernden Kindern aus Biafra prägten mit meine Kindheit) und dort soll sich folgende Geschichte zugetragen haben:
Ein Flüchtlingscamp irgendwo in Biafra. Hunderttausend Menschen leben in armseligen Zelten und leiden an Hunger. Mitten im Camp steht ein großes stattliches Zelt, bewohnt von vier Mönchen die hierher gekommen sind, um Menschen zu helfen und sie zu missionieren.
Eines Tages besucht eine Delegation von Reportern und Politikern aus dem Westen das Camp und die vier Mönche. Der Delegation wurde Essen gereicht und mit den Mönchen wurde köstlich gespeist. Einer Reporterin der Delegation fällt auf, dass die Mönche alle sehr gut genährt schienen. Einige der Delegationsmitglieder verweigerten das Essen mit der Begründung, man könne hier drin doch nicht ein Gelage veranstalten, während draußen die Menschen hungerten, meinten sie voller Abscheu aufgrund der Situation.
„Schämen sie sich denn nicht, hier so zu essen, während draußen Kinder verhungern? Fragte eine junge Reporterin einen der Mönche. „Hören Sie“, sagte der alte dickliche Mönch zu der Reporterin. „Wenn wir das Essen, was wir vier hier haben, an die Hunderttausend da draußen verteilen, reicht es für niemanden zum Überleben und alle sterben. Nur wenn wir vier uns ausreichend ernähren, können wir auch den Hunderttausend da draußen irgendwie helfen.“
Empört wich die Reporterin zurück, ein Gefühl der Ohnmacht überfiel sie und schließlich brach sie in Tränen aus.
„Das stimmt ja, aber…all die Kinder“, schluchzte sie.
„Da gibt es kein aber“, sagte der Mönch. Entweder wir vier essen gut und helfen so wenigstens ein wenig mit unseren Verbindungen in den Westen, oder alle, wir auch, werden verhungern. Dann wäre niemandem geholfen. Es ist doch besser so, oder?
Die Reporterin wusste nicht, was sie sagen sollte, machte ihre Fotos und schrieb ihren Artikel – und machte so die Welt aufmerksam auf die Krise, was in den westlichen Ländern zu zahlreichen Spenden und geretteten Menschenleben führte.
…
Die Moral der Geschichte ist grausam aber wahr. Es gibt Situationen, wo man das Ich über das Wir stellen muss, denn ohne Ich gibt es auch kein Wir. Da kann man den Mönchen keinen Vorwurf machen. Wir erleben seit fünfzig Jahren die gleichen Bilder aus Afrika und es ist eine Schande, dass die Welt es nicht geschafft hat, den Hunger zu vertreiben, obwohl auf der Erde genügend Nahrungsmittel für alle produziert werden. Der Westen lebt im Überfluss und wirft Nahrungsmittel in Milliardenhöhe jedes Jahr auf den Müll – und in Äthiopien, dem Sudan und anderswo hungern Millionen Menschen. Ich meine, noch bevor man sich auf Themen, so schrecklich sie auch sind (Bsp. Der Ukraine-Krieg, Energiekrise, Inflation) stürzt, sollte man die Hungersnot, die weitaus mehr Menschenleben kostet, nicht aus den Augen verlieren und dafür sorgen, dass sowohl die vier Mönche als auch die hunderttausend genügend Nahrungsmittel zur Verfügung haben.
Philosophisch ist das Problem Altruismus vs. Egoismus viel zitiert und sehr umstritten. Nehmen wir mal obigen Fall. Was ist da das Richtige zu tun?
Ich tendiere zum Argument des Mönches, obwohl ungerecht auf den ersten Blick und zur Korruption verführend, scheint es mehr Menschen ein Überleben zu sichern als eine, wenn auch noch so gut gemeinte altruistische Aktion.
Dasselbe gilt meines Erachtens nach in Beziehungen auch – sorge erst für dich, und dann kannst du für andere sorgen. Es macht keinen Sinn, sich selbst kaputt zu opfern, denn wenn der eine Partner dann leer ist, ist die Beziehung auch ganz schnell am Ende.
Mir ist das Risiko eines Machtmissbrauchs in der obigen Geschichte bewusst. Aber leider stehen auch heute zig Helfer vor demselben Dilemma. Wie würdest du entscheiden?