Es ist schon ein leidiges Thema: Seit mittlerweile über fünf Jahren poste ich in Foren und Blogs unentwegt dasselbe: Die Reform der deutschen Schule darf nicht länger aufgeschoben werden. Und immer wieder passiert dasselbe – es grummelt in der Partei, es grummelt in der Fraktion – alle lesen’s aber keiner glaubt’s. Und es passiert – nichts.
Da half kein Pisa, da half keine OECD-Studie – da wird auch jetzt der Munoz-Bericht (der HIER zum Download bereit steht) nicht helfen. Es ist ein Trauerspiel.
Gestandene Bildungspolitiker bekommen ein ums andere Mal was auf die Ohren – und frei nach dem Vogel Strauß-Prinzip – hören und sehen sie nichts. Alles sei bestens, sagt sogar Patrick Meinhardt, ein mir durchaus freundlich gesinnter Parteifreund, der bildungspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion. Von den CDU-Schavans ganz zu schweigen.
Wenn denn alles bestens ist, liebe Freunde, warum bekommen wir für unser antiquiertes System immer wieder von verschiedenen Institutionen Schelte ohne Ende? Wenn denn alles bestens ist, warum produzieren wir zu wenige Abiturienten im internationalen Vergleich? Warum haben wir die HÄLFTE der Studierendenquoten anderer europäischer Länder? Warum verlieren wir an Einkommen, an Lebensstandard, an Qualität, an Perspektiven?
Es ist eben nichts in Ordnung im deutschen Bildungssystem. Ich meine da etwas Erfahrung zu haben – schließlich habe ich hautnah das finnische und das deutsche System erlebt. Meine Mutter lehrte(!) in beiden(!) Systemen – jeweils(!) staatlich und privat. Sie hat bis heute niemand gefragt. Wir haben die Experten, auch in den Parteien – wir haben auch das nötige Wissen. Wir veranstalten schicke Bildungsreisen nach Helsinki und bekommen dort ein paar Vorzeigeschulen vorgeführt – und tun … nichts.
Und kommen sie mir jetzt nicht mit den tollen Lehrplan-Reformen aus dem Bildungsministerium. Die können sie getrost im Müll entsorgen, denn die Lehrkräfte an den Schulen wissen nicht einmal, wie sie die ministerielle Bildungsprosa umsetzen sollen.
Derweil vergeuden wir schon die zweite Generation unserer Kinder in einem ungerechten System, das für mindestens ein Drittel seiner Absolventen keinerlei Perspektive für eine bessere Zukunft bietet. Wir stecken die bildungsschwachen, die sozialschwachen und die sprachschwachen Schüler zusammen, wobei da ja durchaus Schnittmengen existieren, aber die Schwächen bei den einzelnen bei weitem nicht deckungsgleich sind. Und dann wundern wir uns über Schichtprobleme. Mich wundert das nicht.
Ich meine, dass das bloße Abschaffen von Gliederungen im Schulwesen keine Lösung sein kann, da hat Patrick Meinhardt recht. Aber: Die Pädagogik hat in den letzten 30 (!) Jahren Konzepte entwickelt, die unserem System haushoch überlegen sind. Dazu gehören:
- Die persönliche Lern-Lebenslaufplanung eines jeden einzelnen Schülers
- Die individuelle Betreuung eines jeden einzelnen Schülers
- Eine konsequente Vereinfachung und Straffung der Lehrpläne
- Mehr Praxisbezug im Unterricht, vor allem in den Naturwissenschaften
- Das Zusammenbringen von lernstarken mit lernschwachen Schülern zum Ausgleich in der Klassengemeinschaft.
- Ganztagesbetreuung
- Ein gemeinsamer Bildungsabschluss als Ergebnis, nach dem Abitur für jeden (!) möglich wird.
- Der konsequente Einsatz von geschulten Sozial- und(!) Gesundheitspersonal AN JEDER SCHULE zur Prävention und Konflikt-Früherkennung.
Die moderne Schule nach skandinavischer Prägung ist etwas VÖLLIG ANDERES als die jetzige deutsche Grundschule. Meine Tochter macht das als Viertklässlerin gerade mit. Die skandinavische Schule ist ein SOZIALER LEBENSRAUM, in dem gelebt, gegessen, gefühlt, gelernt, gejubelt und geweint wird. Es ist ein bißchen wie ein zweites Zuhause.
Nur damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Das ist beileibe kein falsch verstandenes rot-grünes Wohlfühl-Ambiente – in einem guten Zuhause bekommt man seine Grenzen deutlich gezeigt. Aus meiner Erfahrung sind die finnischen Schulen um einiges strenger und wert-konservativer als die deutschen – Fahnenappelle, Nationahymnensingen und morgendliche religiöse Andachten sind dort gängige Praxis. Nun, offensichtlich schaden sie nicht. Dennoch habe ich sie gehasst, diese Rituale, aber sie bringen Ordnung und Struktur in das Schulleben und vermitteln zumindest ein klares Werteverständnis.
Wir müssen die deutsche Schule schlicht neu gründen. Nicht die alte reformieren, ich glaube das geht angesichts der eingefahrenen Strukturen gar nicht mehr. Darum müssen wir richtig(!) Geld in die Hand nehmen und endlich handeln – zwei verlorene Generationen sind wahrlich genug!
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben wir die Lehrer nicht, die Gebäude nicht, die Mensen nicht, die Sozialarbeiter nicht, das Gesundheitspersonal nicht, die Schulbücher nicht, die Lehrpläne nicht UND: Die Einstellung für eine moderne Schule nicht.
Die Skandinavier und die anderen progressiven Länder haben bis zu 30 Jahre Vorsprung – den holen wir nicht mehr ein. Aber dennoch ist es zum Anfangen nie zu spät. Schade nur, dass es wieder einmal nur grummelt. Und nix passiert.
Dabei könnte eine weltoffene, progressive und zukunftsorientierte FDP hier durchaus eine Vorreiterrolle übernehmen.
Handeln ist die Seele der Welt
Ha, er muß in was Besserm stecken, der Reiz des Lebens: denn ein Ball anderer zu sein, ist ein trauriger, niederdrückender Gedanke, eine ewige Sklaverei, … Das lernen wir hieraus, daß handeln, handeln die Seele der Welt sei, nicht genießen, nicht empfinden, nicht spitzfündeln, daß wir dadurch allein Gott ähnlich werden, der unaufhörlich handelt und unaufhörlich an seinen Werken sich ergötzt: das lernen wir daraus, daß die in uns handelnde Kraft unser Geist, unser höchstes Anteil sei…
(Jakob Michael Reinhold Lenz)