Die Bildungsstagnation bzw. Dequalifikation der deutschen Erwerbsbevölkerung steht in krassem Widerspruch zu den steigenden Qualifikationsanforderungen der Wirtschaft. Damit droht Deutschland einen traditionellen Standortvorteil im internationalen Wettbewerb zu verlieren. Ohne eine bildungspolitische Kehrtwende sind angesichts von technischem Fortschritt und fortschreitender Globalisierung negative Folgen für Wohlstand und Arbeitsmarkt absehbar. http://www.iwg-bonn.de/fileadmin/user_upload/pdf/11_Bildungsniveau_04-2007.pdf
Der türkische Ministerpräsident forderte jüngst die Einrichtung türkischer Gymnasien in Deutschland. Wenn man die reaktionär-islamistische Argumentation Herrn Erdogans kennt – ist dieser Vorschlag, so wie er ihn verwirklicht sehen will, grundweg abzulehnen.
Aber: Es spricht meines Erachtens gar nichts dagegen, fremdsprachige Gymnasien unter deutschen, säkularen Lehrplänen mit fremdsprachigen, deutschen(!) Lehrkräften und nicht-religiösen Trägern einzurichten. Denn: Tatsache ist, dass das deutsche Bildungssystem bei Migrantenkindern komplett versagt – die Quoten der Abbrecher sind enorm und die der Abiturienten und Studierenden horrend gering.
Mal ehrlich: Ein türkisches Abitur ist allemal besser als gar keins. Und es ist nicht im Geringsten abzusehen, dass mit diesen CDU-Ministern bald ein Systemwechsel im Bildungswesen gelingt, der eine akzeptable Ausbildung der benachteiligten Kinder mit Migrationshintergrund ermöglichte. Selbst meine eigenen Parteifreunde sind da nicht sehr progressiv, um es mal vorsichtig auszudrücken.
Dazu kommt, dass sich immer mehr Kinder der dritten und vierten Einwanderergeneration in der sog. Zweisprachenfalle befinden – die Eltern können kein richtiges Türkisch mehr – aber auch kein richtiges Deutsch – und so lernen die Kinder weder die eine noch die andere Sprache richtig. (Dasselbe Symptom wurde in den 70ern bei einer halben Million Finnen beobachtet, die nach Schweden ausgewandert waren.)
Ich habe meinen mittleren Schulabschluss in Finnisch gemacht – und es hat mir weiß Gott nicht geschadet. Im Gegenteil. Durch die zweite Muttersprache habe ich ein zweites Denkmodell geschenkt bekommen, meinen geistigen Horizont erweitern können und kann umso besser jetzt neue Fremdsprachen lernen. Natürlich war es schwer, als Kind eine neue Sprache richtig(!) lernen zu müssen – es mache sich keiner die Hoffnung, Deutschtürken würden auf Türkisch einfacher lernen können – eher das Gegenteil ist der Fall. Denn: alles muss in beiden Sprachen fehlerfrei(!) gelernt werden. Also doppelt.
Aber eigentlich sollten wir türkische Gymnasien haben – genauso wie italienische, griechische, amerikanische, russische und afrikanische auch. Denn unsere Zukunft ist global – unsere Bevölkerung wird vielschichtiger und wir brauchen genau diese Internationalität, um nicht in einer falschen Deutschtümelei-Romantik langsam aber sicher unterzugehen.
PS. Meine Tochter wächst, obwohl kaum jemals in Finnland gewesen, zweisprachig auf. Und auch mit „nur heimischem“ Input, kann sie sich im Alltag verständigen, Zeitung lesen oder einkaufen. Es geht, wenn man nur will.